Majestätischer Kaiserdom zu Speyer: Baukunst der Romanik in ihrer Vollendung

  • Jakob Müller
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Der Speyerer Dom Speyerer Dom ist ein überwältigendes Meisterwerk der romanischen Architektur und eine der bedeutendsten erhaltenen Kirchenbauten aus jener Ära. Dieser mächtige Sakralbau, der 1981 in die UNESCO-Weltkulturliste aufgenommen wurde, verkörpert die Pracht und den Machtwillen des Heiligen Römischen Reiches zur Zeit der Salier-Kaiser. Mit seiner monumentalen Größe und seinen innovativen architektonischen Errungenschaften setzte der Sehenswürdigkeiten in Rheinland-Pfalz wegweisende Maßstäbe für den europäischen Kirchenbau.

Herrschaftsanspruch in Stein gemeißelt: Die Gründung des Doms

Die Ursprünge des Speyerer Doms reichen bis in die Regentschaft des salischen Kaisers Konrad II. zurück, der um 1025 den ambitionierten Plan fasste, die größte Kirche des Abendlandes zu errichten. Dieser gewaltige Bau sollte den Herrschaftsanspruch des Kaisers über das Heilige Römische Reich unterstreichen und seine Macht zementieren. In der damals eher dörflichen Siedlung Speyer fand Konrad die idealen Voraussetzungen, um seine Vision Wirklichkeit werden zu lassen und die gesamte Umgebung auf dieses Großprojekt auszurichten.

Obwohl das präzise Datum der Grundsteinlegung unbekannt ist, wird allgemein angenommen, dass die Arbeiten zwischen 1024 und 1030 begannen. Konrad II. erlebte die Vollendung seines Vorhabens nicht mehr - 1039 wurde er im noch unfertigen Dom beigesetzt. Die feierliche Weihe des ersten Speyerer Doms, der den Beinamen “Speyer I” erhielt, fand schließlich im Jahr 1061 unter seinem Enkel Heinrich IV. statt.

Speyer I: Ein Bauwerk voller Innovationen

Dieser erste Dom zeichnete sich bereits durch mehrere architektonische Neuerungen aus, die ihn zu einem Vorreiter der romanischen Baukunst machten:

  • Die Seitenschiffe waren mit Kreuzgratgewölben überwölbt, einer Technik, die auf antike Vorbilder zurückging.
  • Die Krypta, die sich unter dem gesamten Chor und Querhaus erstreckte, war eine der größten ihrer Art und beeindruckte durch ihre imposante Höhe von fast sieben Metern.
  • Die abwechselnd aus rotem und gelbem Sandstein gemauerten Gurtbögen verliehen der Krypta eine harmonische Gliederung und symbolisierten die göttliche Ordnung.

Trotz dieser Fortschritte wagte Konrads Baumeister noch nicht den entscheidenden Schritt, auch das Hauptschiff mit einem Steingewölbe zu überwölben. Stattdessen begnügte man sich mit einer flachen Holzdecke oder einem hölzernen Tonnengewölbe - eine Entscheidung, die der nächsten Generation vorbehalten blieb.

Speyer II: Die Wölbung des Hauptschiffs - eine technische Meisterleistung

Kaum zwei Jahrzehnte nach der Fertigstellung von Speyer I ließ Heinrich IV. den Dom teilweise abreißen und in noch monumentalerer Form wiederaufbauen. Dieses als “Speyer II” bezeichnete Bauvorhaben sollte die romanische Architektur für immer prägen: Erstmals wurde das Hauptschiff einer Kirche mit einem steinernen Gewölbe überspannt.

Die Entscheidung für diese innovative Wölbungstechnik stellte die Baumeister jedoch vor enorme statische Herausforderungen:

Gewölbeform und Baumaterial

Während die Form des Kreuzgratgewölbes relativ naheliegend war, musste die Wahl des Baumaterials sorgfältig abgewogen werden. Obwohl Holz leichter und kostengünstiger gewesen wäre, entschied man sich aufgrund der Brandsicherheit und Langlebigkeit für Stein.

Dimensionen und Statik

Das Hauptschiff des Speyerer Doms war nicht nur breiter als die Seitenschiffe, sondern auch doppelt so lang wie ein einzelnes Joch. Eine solch gewaltige Spannweite zu überwölben, stellte eine gewaltige Herausforderung dar, zumal die Baumeister damals noch nicht über moderne Berechnungsmethoden für die Statik verfügten.

Um den enormen Gewölbeschub aufzufangen, waren umfangreiche Verstärkungsmaßnahmen erforderlich:

  • Die tragenden Pfeiler des Mittelschiffs wurden durch rechteckige Wandstreifen mit kräftigen Wandsäulen massiv verstärkt.
  • Zwischen den Pfeilern spannten sich Gurtbögen, die das Gewölbe trugen.
  • Den Bereich oberhalb der Mittelschiffmauer füllten halbkreisförmige Scheidbogenmauern mit kleinen Rundbogenfenstern.
  • An der Außenseite wurde eine umlaufende Zwerggalerie eingefügt, die dem Bau zusätzliche Stabilität verlieh.

Diese umfangreichen Baumaßnahmen, die einem Neubau gleichkamen, veränderten nicht nur die Statik, sondern auch die Raumwirkung: Der Wechsel zwischen Haupt- und Nebenpfeilern sowie die farbliche Betonung der Gurtbögen gliederten den Innenraum auf eindrucksvolle Weise.

Mit der Vollendung von Speyer II im Jahr 1106 - dem Todesjahr Heinrichs IV. - war die bis dahin größte Kirche der Welt entstanden. Ihr überwölbtes Hauptschiff war ein architektonischer Meilenstein und das größte Gewölbe seit der Antike. Der Speyerer Dom wurde so zum Vorbild für zahlreiche Kirchenbauten im gesamten Abendland.

Katastrophen und Wiederaufbau: Eine wechselvolle Geschichte

In den folgenden Jahrhunderten war der Dom zahlreichen Katastrophen ausgesetzt, die seine Existenz immer wieder bedrohten:

Der Große Brand von 1450

In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1450 wurde der Dom durch einen verheerenden Brand nahezu vollständig zerstört. Die Schätzungen beliefen sich auf über 300.000 Gulden - ein enormer Betrag für jene Zeit. Papst Nikolaus V. gewährte einen Ablass zur Finanzierung des Wiederaufbaus.

Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg

Die schwerste Beschädigung erlitt der Dom jedoch 1689 während des Pfälzischen Erbfolgekriegs. Französische Truppen unter Ludwig XIV. besetzten Speyer und steckten die Stadt in Brand. Der Dom fing Feuer, die westlichen Gewölbe stürzten ein und der Westbau wurde vollständig zerstört. Schlimmer noch: Die Soldaten plünderten die Gräber in der Krypta.

Nach dem Krieg musste der Ostteil des Doms zunächst durch eine Mauer abgeschlossen werden, um weiterhin als Kirche genutzt werden zu können. Der Westbau blieb aus finanziellen Gründen vorerst eine Ruine.

Wiederaufbau im 18. Jahrhundert

Erst Mitte des 18. Jahrhunderts verfügte Speyer über genügend Mittel für den Wiederaufbau des Westteils. Franz Ignaz Michael Neumann, Sohn des berühmten Barockbaumeisters Balthasar Neumann, erhielt den Auftrag und rekonstruierte 1772-1778 das Langhaus möglichst originalgetreu im romanischen Stil. Für den Westbau wählte er allerdings barocke Formen, die später größtenteils wieder entfernt wurden.

Verwüstung in der Französischen Revolution

Kaum wiederhergestellt, erlitt der Dom 1794 erneut schwere Schäden, als französische Revolutionstruppen die gesamte Innenausstattung zerstörten und den profanierten Sakralbau als Stallung und Lager missbrauchten. Das wertvolle Gnadenbild der “Patrona Spirensis” fiel den Flammen zum Opfer.

Restaurierung und Rückführung zur romanischen Pracht

Nach diesen Zerstörungen begann im 19. Jahrhundert eine Phase der Restaurierung und Rekonstruktion:

Bemühungen um den Dombau im 19. Jahrhundert

1801 wurde das Bistum Speyer vorübergehend aufgelöst, der baufällige Dom sollte 1805 sogar abgerissen werden. Nur die Fürsprache des Mainzer Bischofs Joseph Ludwig Colmar bei Kaiserin Joséphine verhinderte dies.

Nach der Zuordnung Speyers zu Bayern ließ König Ludwig I. den Dom zwischen 1846 und 1853 im Nazarener-Stil mit Fresken ausmalen. Zwischen 1854 und 1858 erfolgte unter Heinrich Hübsch die neuromanische Rekonstruktion des Westbaus - allerdings nicht originalgetreu.

“Re-Romanisierung” im 20. Jahrhundert

Die größte Umgestaltung erfuhr der Dom in den 1950er Jahren durch eine umfassende “Re-Romanisierung”. Die Ausmalungen des 19. Jahrhunderts wurden größtenteils wieder entfernt, um die romanischen Formen klarer hervortreten zu lassen. Seit 2012 sind einige der restaurierten Fresken von Johann Schraudolph im neu geschaffenen Kaisersaal zu sehen.

Durch diese behutsamen Restaurierungen konnte der Speyerer Dom seine einstige romanische Pracht wiedererlangen und strahlt heute in neuer Schönheit.

Krypta: Die “schönste Unterkirche der Welt”

Eine der herausragenden Sehenswürdigkeiten ist die monumentale Krypta des Speyerer Doms, die 1041 geweiht wurde und ein Relikt von Speyer I darstellt. Sie erstreckt sich unter dem gesamten Chor, der Vierung und den Querhäusern und gilt als eine der größten Krypten weltweit.

In jedem der vier Räume ruhen drei mal drei Kreuzgewölbe auf vier schlanken Säulen - ein überwältigendes Raumerlebnis. Die abwechselnd rot und gelb gehaltenen Gurtbögen verleihen der Krypta eine harmonische Gliederung und symbolisieren die göttliche Ordnung, die dem Leben Struktur gibt.

Ursprünglich befand sich nur unter dem Chor eine Krypta, die später nach Norden und Süden erweitert wurde. Zur mittelalterlichen Ausstattung zählten insgesamt acht Altäre, von denen sieben noch erhalten sind - einer für jeden der zwölf Apostel.

Der Speyerer Dom als Doppelkirche

Wie viele Kirchenbauten jener Zeit war auch der Speyerer Dom als Doppelkirche konzipiert, bestehend aus einer Ober- und einer Unterkirche:

  • Die Krypta als Unterkirche war den Laien zugänglich.
  • Das Hauptschiff als Oberkirche blieb den Geistlichen und dem Domkapitel vorbehalten.
  • Ein dritter, exklusiver Bereich war der Kaisersaal im Obergeschoss des Westbaus für den weltlichen Herrscher.

Dieses hierarchische Konzept spiegelte sich auch in der angebauten Doppelkapelle St. Emmeram und St. Katharina wider:

  • Die Emmeramskapelle im Erdgeschoss diente als Taufkapelle.
  • Die Katharinenkapelle eine Etage höher beherbergt Reliquien wie Teile des Hochzeitskleids der Heiligen Elisabeth.

Durch dieses System aus Ober- und Unterkirche, Kapellen und dem Kaisersaal schuf der Speyerer Dom eine komplexe sakrale Raumordnung nach strengen Standesgrenzen.

Grablege der Könige und Kaiser

Eine der Hauptattraktionen des Doms ist die Kaisergruft, in der sich die sterblichen Überreste deutscher Herrscher aus verschiedenen Dynastien befinden:

  • Die Salier mit Konrad II., dessen Sarkophag als Diebstahlsicherung mit Eisenbändern versehen ist, sowie Heinrich III., Heinrich IV. und dem letzten Salier-Kaiser Heinrich V.
  • Beatrix von Burgund, zweite Gemahlin Friedrichs I. Barbarossa, und ihre Tochter Agnes in einem Doppelgrab.
  • Philipp von Schwaben, der erste ermordetete deutsche König aus dem Hause der Staufer.
  • Rudolf von Habsburg, der erste Habsburger auf dem deutschen Königsthron.
  • Die rivalisierenden Könige Adolf von Nassau und Albrecht von Habsburg, die auf Anordnung Heinrichs VII. Seite an Seite ihre letzte Ruhe fanden.

Insgesamt machen die teils prachtvoll verzierten Sarkophage der Kaisergruft den Speyerer Dom zu einer der bedeutendsten Grablegen des Mittelalters auf deutschem Boden.

Romanische Ikone und Vorbild für den Kirchenbau

Der Speyerer Dom wurde 1981 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt, da er “die romanische Architektur im 11. und 12. Jahrhundert sowie die Grundsätze der Restaurierung von der Aufklärung bis heute maßgeblich beeinflusst hat”.

In der Tat setzte dieser Sakralbau bereits im Hochmittelalter neue Maßstäbe für den Kirchenbau:

  • Er war der erste Kirchenbau mit einer umlaufenden, begehbaren Zwerggalerie.
  • Das Gewölbesystem mit gebundenen Jochen im Mittelschiff ging als “gebundenes System” in die Architekturgeschichte ein.
  • Die Wölbung des Hauptschiffs war die erste derartige Konstruktion seit der Antike.

Diese Pionierleistungen und die schiere Größe des Doms prägten zahlreiche nachfolgende Kirchenbauten im gesamten Abendland. Auch für die Entwicklung der Denkmalpflege spielte die Restaurierungsgeschichte des Speyerer Doms eine wegweisende Rolle.

Heute zählt der mächtige Kaiserdom zu den herausragenden Baudenkmälern der Romanik und den großen Sehenswürdigkeiten in Rheinland-Pfalz Sein majestätisches Erscheinungsbild, die innovativen architektonischen Lösungen und die geschichtsträchtige Aura machen ihn zu einem Kleinod, das Besucher aus aller Welt in seinen Bann zieht.

Speyerer Dom als Schatzkammer der Kunst

Neben der überwältigenden Architektur beherbergt der Speyerer Dom auch eine Reihe bedeutender Kunstschätze. Die Ausstattung mit Skulpturen, Grabmalen und Epitaphien aus verschiedenen Epochen macht ihn zu einer wahren Schatzkammer:

  • Das Epitaph Rudolfs von Habsburg gilt als das erste bekannte lebensechte Porträt einer Person des Mittelalters.
  • Weitere Grabmale erinnern an Bischöfe, Domherren und Adlige, darunter jenes des Domherrn Karl Wolfgang Freiherr von Rollingen im Renaissancestil.
  • Der Kerzenständer “Der Stammbaum Jesu” ist ein einzigartiges Kunstwerk der Goldschmiedekunst aus dem 15. Jahrhundert.
  • Der Marienzyklus, eine Folge von Wandmalereien unter den Fenstern des Mittelschiffs, stammt aus dem 19. Jahrhundert.

Diese Kunstwerke verschiedenster Epochen und Stile machen den Speyerer Dom zu einem Gesamtkunstwerk, das weit über seine architektonischen Qualitäten hinausreicht.

Orgelklänge und Dommusik

Einen besonderen Akzent setzt auch die reiche musikalische Tradition des Speyerer Doms. Bereits im Mittelalter war die Kathedrale für ihre Dommusik bekannt, die heute durch hochkarätige Konzerte und Festivals wie die Internationalen Musiktage fortgeführt wird.

Im Zentrum steht dabei die prachtvolle Hauptorgel auf der Westempore, ein 2011 von der Orgelbaufirma Seifert geschaffenes Meisterwerk mit 87 Registern auf vier Manualen und Pedal. Ihre Disposition orientiert sich an der süddeutschen und französischen Orgeltradition und ermöglicht ein breit gefächertes Repertoire von Barock bis Romantik.

Doch auch im Königschor erklingt festliche Orgelmusik: Die dortige Seifert-Orgel aus dem Jahr 2008 vereint eine “klassische” Chororgel mit einem mitteltönigen Blockwerk im Stile einer gotischen Orgel.

Lebendige Kathedrale und Wallfahrtsort

Doch der Speyerer Dom ist weit mehr als ein Museum - er ist eine lebendige Kathedrale und Pfarrkirche. Als Bischofskirche der Diözese Speyer ist er der geistliche Mittelpunkt für die über 600.000 Katholiken der Pfalz.

Regelmäßig finden hier festliche Pontifikalämter, Weihen und andere Zeremonien statt. Besondere Höhepunkte sind die Wallfahrten zu Mariä Himmelfahrt am 15. August, wenn die Gläubigen in einer Lichterprozession der “Patrona Spirensis” - der Speyerer Madonna - huldigen.

So ist der mächtige Kaiserdom bis heute ein Ort lebendigen Glaubens und spiritueller Kraft, der Gläubige und Besucher aus aller Welt anzieht.

Technische Meisterleistung und Weltwunder der Romanik

Der Speyerer Dom ist zweifellos eines der bedeutendsten Zeugnisse romanischer Baukunst und ein wahres Wunderwerk seiner Zeit. Angefangen bei der gewaltigen Dimension über die innovative Wölbungstechnik bis hin zur durchdachten Raumordnung als Doppelkirche - dieser Sakralbau stellte die Baumeister vor enorme Herausforderungen.

Dass sie diese Aufgaben derart meisterhaft lösten, zeugt von ihrer Ingenieurskunst und visionären Kreativität. Kein Wunder, dass der Speyerer Dom schnell zur Blaupause für zahlreiche andere Kirchenbauten in ganz Europa avancierte.

Heute fasziniert dieser einzigartige Sakralbau durch seine erhabene Schönheit, seine spirituelle Aura und die Synthese aus machtvoller Architektur und filigraner Kunst. Als einer der herausragenden Sehenswürdigkeiten in Rheinland-Pfalz ist der Speyerer Dom ein Muss für Kulturliebhaber, Architekturbegeisterte und spirituell Suchende gleichermaßen.